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Dies ist ein Gastbeitrag und spiegelt nicht zwingend die Meinung der Redaktion von wibger.de wider. Der Inhalt stammt von einem externen Autor.

Autor : Thomas Lefoldt


Offener Brief an Herrn Friedrich Merz

Sehr geehrter Herr Merz,

mit diesem Schreiben möchte ich Ihnen meine tiefen Bedenken in Bezug auf Ihre politischen Positionen zum Bürgergeld deutlich machen. Insbesondere halte ich es für falsch, Sozialleistungsbeziehende pauschal als „Schmarotzer“ zu diffamieren – eine Sichtweise, die die Schwächsten unserer Gesellschaft in ungerechtfertigter Weise angreift. Ich fordere Sie auf, Ihre öffentlichen Aussagen künftig auf vollständigen, überprüfbaren Fakten aufzubauen.

1. Faktenlage zum Bürgergeld: Verwaltungskosten vs. Förderung

  • Im Jahr 2024 hatten Jobcenter insgesamt rund 10,7 Mrd. € zur Verfügung – davon wurden 6,5 Mrd. € (≈ 61 %) für Verwaltung ausgegeben und lediglich 3,8 Mrd. € (≈ 36 %) für Arbeitsförderung genutzt Welt.

  • Für 2023 lag der Gesamtaufwand des Bürgergeldsystems bei etwa 48,9 Mrd. €, der Anteil der Verwaltungskosten betrug 6,3 Mrd. €. Die Zahl der Leistungsbeziehenden belief sich auf 5,49 Mio. Menschen, von denen 47 % ausländisch waren BILDWikipediaBILD.

  • Die durchschnittlichen Verwaltungskosten pro Bedarfsgemeinschaft betrugen 2023 etwa 2.175 € jährlich, bei knapp 2,94 Mio. Bedarfsgemeinschaften insgesamt Hersfelder ZeitungWikipedia.

Diese Zahlen zeigen sehr klar: Ein Großteil der Steuermittel fließt in bürokratische Strukturen – und bleibt nicht dort, wo sie am dringendsten gebraucht werden: direkt bei den Leistungen oder der Qualifizierung der Betroffenen.

2. Ihre Argumentation – unfundiert und zum Teil irreführend

  • Sie bezifferten zuletzt die Kosten des Bürgergeldes mit ca. 50 Mrd. € jährlich, forderten dabei vor allem drastische Kürzungen und sprachen von etwa 1,7 Mio. Menschen, die arbeitfähig seien, aber nicht arbeiten würden WikipediaWikipediaWikipedia.

  • Ihre Behauptung, Bürgergeld­empfänger lebten von „Luxusmieten“, ist ebenfalls kritisch zu sehen. Laut taz mussten Beziehende im Schnitt 103 € pro Monat aus dem Regelbedarf selbst für Miete aufbringen – Geld, das eigentlich für Ernährung, Kleidung und Alltagskosten vorgesehen ist taz.de.

  • Viele Aussagen über den vermeintlichen Leistungs­anreizverlust durch Bürgergeld wurden als zu einfach und irreführend kritisiert – u.a. bei Tagesschau-Faktenchecks WikipediaDeutschlandfunk.

Ihr aktueller Vorstoß einer pauschalen Deckelung der Mietkosten (z. B. maximal 20 €/m²) wurde von SPD, Linken, Grünen, Arbeitnehmervertretungen und dem Mieterbund als unausgegoren kritisiert: eine solche Maßnahme löse das Problem hoher Mieten nicht, sondern fördere Obdachlosigkeit, so die Opposition stern.deDIE ZEITZDFheute.

3. Wie schmal ist der Lebensstandard? Fakten zum Regelbedarf

  • Der Regelbedarf für Alleinstehende liegt seit dem 1. Januar 2024 bei 563 € monatlich, für Paare jeweils 506 € – seit 2025 keine Erhöhung erfolgt BundesregierungWikipedia.

  • Mehrbedarfe (etwa bei Krankheiten, Behinderung, Schwangerschaft) oder Kosten für Unterkunft und Heizung sind davon nicht gedeckt und oft nur unzureichend abgedeckt.

Bei solchen Zahlenbeispielen verlangen Sie zudem, dass arbeitende Menschen für teils überzogene Mietzuschüsse belastet werden – ohne klar zu machen, wie Ersatzwohnungen gefunden werden sollen.

4. Ihre ethische Verantwortung: Lebenserfahrung fordert Respekt

Sie kritisieren Bürgergeld­empfänger scharf, urteilen pauschal. Doch haben Sie jemals ein Jahr lang unter Bedingungen gelebt, wie sie Millionen Menschen täglich erfahren – mit einem Regelbedarf von unter 600 €, konstantem Druck von Jobcenter-Terminzwängen, Unsicherheit bei Unterkunft und sozialer Ausgrenzung?

Ich fordere Sie eindringlich auf:

  • Vermeiden Sie wertende Verunglimpfungen von Menschen, die mit den strukturellen Bedingungen kämpfen – sie sind keine Schmarotzer, sondern mitunter Zugewanderte, Aufstocker, Alleinerziehende oder Langzeitarbeitslose, die keine Alternative haben.

  • Erheben Sie Ihre Forderungen nur auf verifizierbare Fakten und legen Sie transparent dar, wie viel Geld wirklich bei den Betroffenen ankommt – nicht nur, was im Haushalt geplant wird.

  • Beurteilen Sie gesellschaftliche Probleme nicht aus der Distanz heraus, sondern zeigen Sie Empathie und Verständnis, auch wenn Sie wirtschaftliche Rationalität vertreten – die Würde der Betroffenen darf nicht unter dem Primat der Haushaltskürzung verloren gehen.

Mit Respekt und der Hoffnung, dass konstruktivere Diskussionen möglich sind,

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